Schach - Wo stehen wir heute? (Teil 1)

Dr. Erhard Henkes  https://www.twitch.tv/prettyhardy  
13.02.2022


Wie werde ich besser? 

Diese Frage stellen sich einige engagierte Schachspieler. Ich möchte hierzu einige Denkansätze aus Sicht der Zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts liefern. Digitalisierung und Vernetzung via Internet sind für das Schachspiel besonders vorteilhaft. Engines, gegen die selbst der Weltmeister machtlos ist, kostenlose online-Plattformen, die weltweit Hunderttausende von Spielern rund um die Uhr anlocken, live-Übertragungen internationaler Turniere, riesige Datenbanken mit Millionen von Partien, Speicherung und statistische Auswertung der eigenen Partien, all das hat den Umgang mit dem königlichen Spiel verändert.

Schachspieler bevorzugen es, wenn man Thesen anhand konkreter Stellungen belegt. Ich werde hierzu möglichst Material aus eigenen Partien verwenden, denn das versteht man am besten, und ich kann es daher auch bezüglich aller Aspekte (fachlich, emotional, psychologisch etc.) erklären.

Freude am Schach setze ich hier einfach voraus. Wichtig ist darüberhinaus ein gewisses Maß an Disziplin, wenn man seine Spielstärke erhöhen will. Übrigens gelingt dies noch im fortgeschrittenen Alter. Die Spielstärke kann man heuzutage mit modernen Plattformen wie lichess.org, chess.com, etc. viel einfacher und in kürzeren Abständen messen als in früheren Zeiten.

Fangen wir an.

Schachmatt ist das primäre Ziel

Zunächst sollte man das Ziel des Spiels nicht aus dem Auge verlieren. Es geht nämlich nicht um Materialgewinn, sondern um das Mattsetzen des gegnerischen Königs!



Ich spielte hier mit Weiß und bin am Zug. Schaut man auf eine Position, so achtet man zunächst auf das materielle Gleichgewicht. Hierzu dienen als Orientierung die materiellen Wertungspunkte der Figuren ohne den König (Dame 9, Turm 5, Leichtfigur 3, Bauer 1). Ich fühlte mich hier weit überlegen, denn ich besitze drei Bauern mehr, mein König steht sicher, und der gegnerische König ist mitten im Feld. Dieser wird von mir daher mit taktischen Tricks "gejagt".

Was ist hier ihre erste Eingebung?

Hinweis: zunächst selbst nachdenken, nicht gleich weiterlesen.

Meine erste Idee: g4+ hxg4 fxg4+ Kxg4 Le3+! und ich gewinne durch diesen Trick einen Turm. Es war eine 3+0 Blitzpartie, d.h. jeder Spieler hat drei Minuten für die gesamte Partie ohne Zeitaufschlag für jeden Zug (Inkrement: 0 Sekunden). Unter solchen Blitzbedingungen greift man zumeist nach der ersten Idee, vor allem wenn sie so gut funktioniert.

Man sollte als Spieler sehr darauf achten, welche Idee zuerst in den Sinn kommt, denn das ist die intuitive Fähigkeit einen Zug zu erkennen. Manche nennen dies auch Mustererkennung. Das läuft ungefähr so: Schach - schlägt - schlägt - Abzugsschach - Materialgewinn. Diese Variante läuft forciert. Ich habe meinen Gegner und das Spiel voll im Griff! Also nichts wie ran an den Speck. Was will man mehr?

In einer "langsamen" Partie, z.B. mit durchschnittlich 3 Minuten pro Zug, kommt mir diese Idee ebenfalls sofort in den Sinn, weil die Intuition sehr viel schneller (und manchmal auch treffsicherer) abläuft als das bewusste Kalkulieren.

Nehmen Sie sich bitte etwas Zeit und schauen Sie sich diese Stellung in Ruhe an. Was kommt Ihnen in den Sinn? Gibt es hier eine (bessere) Alternative zu g4+? Wie gehen Sie intuitiv und/oder systematisch vor? Beobachten Sie ihre Vorgehensweise genau. Man kann sich nur ändern/verbessern, wenn man sich selbst analysiert.

Bei taktischen Stellungen gibt es eine ratsame Vorgehensweise: 1) Schachzüge 2) Schlagzüge 3) Drohungen
Ich rate aus Erfahrung noch zu 0) Kann ich die Dame fangen?

Also beginnen wir das bewusste Vorgehen mit allen Schachzügen:
1. g4+
1. Tc5+
1. Te5+
1. Sd4+

für das exakte Durchrechnen dieser Züge hat man nur Zeit in einer langsamen Partie. Daher ist es eine interessante Aufgabe, die eigene Intuition so zu verändern, dass man den besten(!) Zug aufgrund trainierter Mustererkennung zuerst untersucht. Was ist das Ergebnis ihrer ruhigen Analyse der obigen Züge?

Ich denke, Sie schließen die beiden Turmzüge relativ rasch aus. Man muss sich richtig zwingen, über deren Folgezüge nachzudenken. Mir geht es darum, dass Sie trainieren, wirklich alle Schachzüge zu erkennen. Mir ist es bei einem "Puzzle Streak" passiert, dass ich ein Matt in zwei Zügen fand und zog, aber es gab ein einzügiges Matt! Daraufhin durfte ich wieder bei Null beginnen.

Was ist mit dem Zug Sd4+, der dem König Schach bietet? Unsere materielle "Gier" schließt den Zug vielleicht sofort aus, weil ...Kxf4 folgt und wir den Läufer verlieren, genau die Figur, mit der wir den Turm einkassieren können. Wie steht es bei Ihnen mit dieser Zugfolge?

Wichtig: Es gehört ein komplett anderes Denken dazu, um diesen Zug zu finden, nämlich das Erkennen einer bekannten Mattstruktur.

Die Lösung ist 1.Sd4+ Kxf4 2.Sf5+ Kxf5 3.g4+ hxg4 4.fxg4#
In meiner Blitzpartie ist also ein Matt in vier Zügen versteckt, das nicht leicht zu finden ist, denn wir opfern zwei wunderschöne Leichtfiguren, um in ein Mattmuster in zwei Zügen zu gelangen.  

Genau dieses Muster sollte man sich "einprägen", um es in späteren Partien als Ziel einer Opferserie zu erkennen. In der nachstehenden Position würden Sie das zweizügige Matt sicher sofort erkennen: 1.g4+ hxg4 2.fxg4#



Warum sieht man das oben nicht sofort? Es gibt drei Gründe: 1) Der Läufer steht auf der vierten Reihe im Weg, sodass g4 nicht durch den Tc4 gedeckt ist. 2) Das Opfer auf g4 mit anschließendem Abzugsschach "verführt". 3) Der Opferzug Sf5+ ist merkwürdig, d.h. ungewohnt und damit unintuitiv!

Erkennt man das Matt-Muster in obiger Position (mit Springer und Läufer), so ist man einen Schritt weiter.
Man muss allerdings noch einiges weiter leisten:
1) Der Springer muss die vierte Reihe blockieren, sodass der König den störenden Läufer beseitigt
2) Man muss erkennen, dass Sf5+ den Fluchtweg des Königs nach g3 blockiert.

Gerade der zweite Zug Sf5+ ist "merkwürdig". Daher blendet man ihn leicht aus. Gerade solche Stellungen sollte man "sammeln" (z.B. als eigene Studie in lichess.org) und öfter üben und vorführen, damit es zum Teil des eigenen "Werkzeugkastens" wird.

Fassen wir zusammen:

1) Alle Schachgebote untersuchen.
2) Die Intuition so trainieren, d.h. lenken, dass sie die Züge 1.g4+ und 1.Sd4+ in ihrem taktischen Grundmuster erfassen kann. Im ersten Fall: Hinlenkung des Königs durch Opfer auf g4 und Abzugsschach, im zweiten Fall: Erkennung des Matt in zwei Zügen, konsequente Beseitigung der beiden Leichtfiguren und Lenkung des gegnerischen Königs.
3) Erreichbare Ziele setzen und möglichst regelmäßig üben.

Punkt 1 ist eine Frage der Disziplin. Das trainiert man am besten mit Taktikaufgaben. Ich empfehle hierzu folgende gestaffelte Vorgehensweise für das regelmäßige Üben:
a) Matt in einem Zug (Ziel: 100% intuitive Erkennung)
b) Matt in zwei Zügen (Ziel: möglichst rasch finden)
c) Matt in drei Zügen (Ziel: finden und Muster einprägen)
d) Matt in vier und mehr Zügen (Ziel: finden und Muster einprägen)

Wo findet man diese Aufgaben?
Klar, es gibt gute Taktikbücher mit hervorragender Didaktik. Wir befinden uns allerdings im Zeitalter zunehmender Digitalisierung, und das ist gerade für das Schachtraining ein großer Gewinn. Daher schlage ich folgende Plattformen zum Einstieg vor:
https://www.lichess.org/training/mateIn1
Chess Puzzles - Learn Themes and Patterns - Chess.com
(leider sind nur im Bezahlmodus Themen per Checkbox wählbar)
https://www.chessable.com/basic-checkmate-patterns/course/45122/  (kostenloser Kurs)

Gerade lichess.org ist als kostenlose und werbefreie Plattform ein Gewinn für das Schachspiel und daher meine absolute Nr. 1. Dennoch können auch Bezahl-Plattformen Sinn machen, vor allem, wenn man sie regelmäßig nutzt. Es ist das gleiche Problem wie bei Sport, Sprachkursen, Musikinstrumenten oder Fitness-Studios. Nach der Begeisterungsphase kommt das "langweilige" Training.

Mein Rat: Sich nicht überlasten, sondern in verdaulichen Einheiten regelmäßig üben. Gerade mit dem Smartphone ist das eine leichte Angelegenheit.
Wichtig: Eigene Ziele setzen

Nehmen wir ein konkretes Beispiel:
Matt in einem Zug auf chess.com
Für 10 Aufgaben benötige ich knapp zwei Minuten. In zehn Minuten kann ich mir also 50 Aufgaben zumuten. Das ist gerade noch regelmäßig machbar und härtet ab. Wichtig hierbei ist, dass man eigene "Fehlermuster" erkennt und bewusst "umbiegt". Ich zeige hier ein Beispiel: https://www.chess.com/puzzles/problem/692036
Hier falle ich öfter auf Se3+ herein, was dem König die Flucht nach f3 erlaubt. Ich sehe also nur das Schach, und ich vermeide Springer am Rand. Richtig ist Sh2#, weil es g4 und f3 attackiert. Bewusstmachung: König und Fluchtfeld angreifen!
Schachmatt funktioniert genauso. Unabwendbares Schach (Schlagen, Blockieren) und keine Fluchtmöglichkeit.

Punkt 2 ist eine Frage des Talentes für Mustererkennung. Da kann man sich nur Schritt für Schritt vorwärts tasten.
Punkt 3 ist wichtig, damit die Motivation und Umsetzbarkeit erhalten bleibt. Schach soll nämlich auch Spaß machen.

Mattkombinationen sammeln und üben

Bei ihren eigenen Partien wird es Mattkombinationen geben, die Sie nicht gesucht oder nicht gesehen haben. Es lohnt sich, eine überschaubare Anzahl davon zu sammeln und zu üben. Falls Sie über die höchste Abo-Stufe bei chess.com verfügen, bieten Ihnen bei "Learn" die "Insights" unter "Tactics" eine gute Auswahl von Mattkombinationen geordnet nach 1, 2, 3, 4, 5 oder mehr Zügen, die Sie entweder geschafft oder leider übersehen haben. Klicken Sie neben der Statistik auf das Schachbrett und schauen Sie sich an, wo es konkret noch mangelt. Das ist ein hervorragender Hebel zur Verbesserung.

Einfache Mattkombinationen

Ich zeige hier zwei Mattkombinationen, die ich in Blitzpartien (hier zählt die intuitive Mustererkennung besonders) übersehen habe. Bei gezielter Suche sehen Sie diese bestimmt leicht.





Oben zog ich mit Weiß Sc5, wobei Lh6 ein unabwendbares Matt schafft, und unten wählte ich mit Schwarz Txh2, was die Mattchance ...h5 Kh3 g4+ Kh4 Txh2# vergab. Man fragt sich, wie man so etwas übersehen kann. Das ist ganz einfach: Man sucht nicht ständig gezielt nach Matt (unteres Beispiel, immerhin drei Züge), und man fokussiert oft nur einen Teil des Schachbrettes (oberes Beispiel, rechts hat niemand hingeschaut). Bei langsamen Partien müsste man überdies die Rolle des Zuschauers einnehmen, denn da "sieht" man deutlich mehr. Sich auf die Hände setzen und innerlich cool bleiben könnte eine Möglichkeit sein, aber wer schafft das schon? Suchen Sie in ihren eigenen Partien nach solchen Beispielen, speichern Sie diese als Studie ab, und finden Sie die subjektive Ursache für das Nichtfinden. Wenn Sie die Ursachen erkennen und zukünftig beachten, werden Sie erfolgreicher sein.

Das Studium verschiedenster Mattmuster hilft auf jeden Fall weiter. Üben Sie auf lichess.org, chess.com, chessable.com oder wo und wie auch immer Matt in x Zügen und zwar x = 1 bis 4+ oder 5+, denn das hilft gewaltig. Später nimmt man dann verschiedene Themen in Kombination, damit man nicht weiß, ob es sich wirklich um eine Mattaufgabe handelt. Im richtigen Spiel ist es nämlich so: Forcierte Mattmöglichkeiten sind selten, und es wird auch keine Alarmglocke geläutet.

Es lohnt sich, die grundsätzlichen Mattbilder regelmäßig durchzugehen, z.B. hier: https://www.chess.com/de/terms/mattbilder


Komplexe Königsangriffe

Neben den grundlegenden Mattstrukturen gibt es eine Menge raffinierter Zugfolgen aus Partien und künstlichen Studien, die forciert zum Matt führen. Man sollte diejenigen Positionen für regelmäßige Übungen speichern, die beim ersten Betrachten vorwiegend Ratlosigkeit hinterließen.

Was fällt Ihnen hier für Schwarz ein? Sehen Sie die Zugfolge bis zum Matt?



Dies ist eine Position aus der Partie Kiril Georgiev (2660) gegen Ian Rogers (2595) in Biel aus dem Jahre 1993, und Schwarz führt hier einen bemerkenswerten Königsangriff vor.

 

1....Lxh2+ 2.Kh1 Lxg2+ 3.Kxg2 Txf2+ 4.Txf2 Dg3+ 5.Kf1 Dg1# oder 4.Kxf2 Dg3#

Ein wunderschönes Schachmatt in fünf Zügen. Sämtliche Bauern vor dem König werden entfernt, und die Dame agiert auf den schwarzen Feldern. Lassen Sie diesen Ablauf inclusive der Verzweigung im vierten Zug vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Sammeln Sie solche Partie-Beispiele, z.B. in eigenen Lichess-Studien. Führen Sie diese Stellungen und Abläufe ihren Schachfreunden vor.

Hier folgt ein Beispiel mit Weiß in einer eigenen Blitzpartie. Welchen Plan würden Sie hier verfolgen?

Der entscheidende Punkt ist hier der fixierte Bauer f7. Dieser blockiert den König und sperrt ihn im Bereich der g- und h-Linie ein. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit für das Schachgebot 1.Dg6+ Kh8
Wie geht es nun weiter? Führt ihre Analyse bis zum Matt?

Wenn ja, haben Sie erstaunliche Kalkulationsfähigkeiten. Es ist in der Tat ein Matt in 11 Zügen.

1.Dg6+ Kh8 2.Dxh6+ Kg8 3.Dxg5+ Kh8 4.Le4 Dh3 5.Lxf6+ Lxf6 6.Dxf6+ Kg8 7.Td5 Dg4 8.Tg5+ Dxg5 9.Dxg5+ Kh8 10.Dh6+ Kg8 11.Dh7#

Hier geht es darum die wesentlichen Elemente zu erkennen:
1.Dg6+ (der totbringende Bauer f7 ist gefesselt, sodass die Dame eindringen und g- und h-Linie öffnen kann)
4.Le4 (ein ruhiger Zug, der den Läufer auf die klassische Angriffsdiagonale b1-h7 bringt)
5.Lxf6 (der Abtausch öffnet das Operationsfeld für Dame, Turm und Läufer)
7.Td5 (der Turm wird für die g-Linie mit Angriff auf g8 benötigt und dann gegen die feindliche Dame getauscht)
11.Dh7# (das Mattbild)

Vielleicht hilft ihnen bei der Vorstellung ein grafisches Bild mit Pfeilen:



Sie sehen, die Dame ist hier der Hauptakteur bei diesem Königsangriff. Daher ist es wichtig, dass man sich mit dieser Figur im Schach besonders intensiv beschäftigt. Das korrekte Führen der Dame ist ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg.

Besonders leidvoll musste ich diesen Umstand in einer langsamen Partie im Kampf um die Vereinsmeisterschaft in Lorsch 2019 erkennen:



Ich stehe hier mit Schwarz auf Gewinn. Das hatte ich auch im Gefühl. Nun muss man die Partie "nur" noch gewinnen. Welchen konkreten Plan würden Sie hier fassen? Wie gehen Sie hierbei intuitiv und kalkulatorisch genau vor?

Ich entschied mich für 1....Dd2+ 2.Kf1 Se3+ 3.Kg1 Sd1 (besser ist Dc1+) 4.Dc5 De1+ 5.Lf1, und Weiß nahm mein Remisangebot an. Nach einer wilden und anstrengenden Partie und aufgrund meiner unsicheren Königsstellung war ich zunächst mit dem Ergebnis zufrieden.

Später bei der Analyse fand ich folgende deutlich bessere Abwicklung:
1....Dd3! 2.Kf1 (2.Df1 De3 ...) Sd2+ 3.Ke1 Sf3+ 4.Kf1 Sh2+! 5.Dxh2 Db1+ 6.Kf2 Txe2+ 7.Kxe2 Dxb2+ 8.Kf3 Dxh2, und Schwarz hat Dame gegen Turm mit guten Gewinnaussichten.

Das Springeropfer auf h2 zur Ablenkung der Dame ins Abseits mit nachfolgendem Qualitätsopfer sah ich nicht. Ich war mit der Komplexität der Stellung in der konkreten Situation am Brett überfordert und erkannte nur, dass ich nach ...Dd2 die Partie ausgleichen konnte.

Nutzen Sie solche Stellungen, die verschiedene Damenzüge ermöglichen, um ihre Kalkulationsfähigkeiten sowohl in die Breite als auch in die Tiefe zu stärken. Verwenden Sie meine konkrete Stellung (Stockfish wertet sie mit -7.8) und gehen Sie die möglichen Nebenvarianten durch. Als Anfangszüge ("Kandidaten") eignen sich ...Dd2+, ...Dd3, ...Db4+ und auch ...Se3.



Analysieren Sie alle Partien

Eine sinnvolle Analyse der gespielten Partien bringt sowohl Einsichten hinsichtlich der intuitiven als auch der kalkulatorischen Fähigkeiten. Daher rate ich zur Analyse aller gespeicherten Partien, egal ob Bullet, Blitz, Rapid oder Turnier. Manchmal braucht man etwas Abstand zur emotionalen Komponente der Partie. Nach längerer Zeit bleibt das Schachliche im Vordergrund, und davon kann man profitieren, wenn man regelmäßig an seinen Schwächen und Stärken arbeitet.  

Heute stehen uns aussagekräftige digitale Helfer zur Verfügung. Sowohl lichess.org als auch chess.com und auch andere Plattformen bieten automatische Analysen der gesamten Partie an, sodass man sich auf die Schlüsselzüge konzentrieren kann. Man ist zunächst damit alleine gelassen, wie man den Fehler/Patzer oder die Ungenauigkeit zukünftig vermeiden soll. Daher sollte man sich selbst Regeln generieren, die wesentliche Schwächen umgehen sollen.

Ich möchte das an einem konkreten Beispiel erläutern. Ich habe eine Zeitlang "Puzzle Storm" zuerst mit 5 Minuten und später ohne Zeitlimit geübt, um meine taktischen Fähigkeiten zu erhöhen. Dabei endet der Lauf, wenn man drei Puzzle falsch gelöst hat. Diese drei "Versager" habe ich in einer Studie gesammelt. Aus 63 falsch gelösten Puzzle erzeugte ich für mich selbst Regeln (das passt gut in lichess, da man aktuell max. 64 Kapitel in einer Studie sammeln kann).

Folgende Regeln ergaben sich für das taktisch orientierte Mittelspiel:

1) look at all 64 squares! (queen, rook, bishop: far distance effect)
2) look for all(!) checks first, then capturing s.th., then threats.
3) look for unprotected pieces!
4) look for unblocking squares, files, ranks.
5) look at your opponent's threats and pieces!
6) look for better tactics, if you have found one.
7) look for deflecting protecting pieces.

Die Punkte 1,2 und 5 halte ich für besonders wichtig:
Das
ganze Brett im Blick behalten.
Alle
Schachgebote prüfen.
Die
Drohungen und Figuren des Gegners beachten.

Verwenden Sie diesen Ansatz für ihre eigene Vorgehensweise. Regeln sollte man sich natürlich immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn man diese in die Realität umsetzen möchte.

 

Analysieren Sie die Gesamtheit ihrer Spiele

Die Digitalisierung erlaubt das Speichern der eigenen Partien. Man hat somit die Möglichkeit, seine Gesamtleistung statistisch in vielen Richtungen zu untersuchen, um Verbesserungspotenziale zu finden. Wie geht das genau?

Beginnen wir mit den Insights bei lichess.org. Man findet es im Profil. Dabei kann man A gegen B mit Filter C auftragen. Sehen wir uns einige Beispiele an:

A: Average Centipawn Loss
B: Piece Moved
C: Schnellschach


Diese Zahlen sind durchschnittliche negative Abweichungen in 1/100 Bauerneinheiten gegenüber der Engine. Was lerne ich daraus? Mit Läufer und Bauern habe ich die geringste Bewertungsabweichung gegen den besten Stockfish-Zug. Mit Turm und Dame begehe ich mehr Fehler als mit anderen Figuren. Dort sollte also meine Verbesserung ansetzen. Aus Erfahrung weiß ich inzwischen, dass Werte unter 40 (das sind 0.4 Wertungspunkte, Bauer = 1, gegenüber dem besten Engine-Zug) aus Sicht eines gehobenen Vereinsspielers erstrebenswert sind.

Ein weiteres Beispiel:
A: Average Centipawn Loss
B: Game Phase
C: Schnellschach

Die Botschaft ist klar:
Eröffnungsphase ist im Durchschnitt akzeptabel.
Taktik und Endspieltechnik sind ausbaufähig.

Hat man die Diamant-Mitgliedschaft bei chess.com, so bieten sich interessante Möglichkeiten. Es nennt sich ebenfalls "Insights".
Fangen wir mit den Figuren an:



Man sieht, Turm und Dame verlangen mehr Aufmerksamkeit bei mir. Daher habe ich oben das Beispiel meines fehlerhaften Damenzugs gezeigt. Chess.com benutzt übrigens die sogenannte "Accuracy", die bis 100% gehen kann. Werte über 85% sind mein Ziel.

Man sollte nicht nur in Fehlern/Patzern denken, sondern auch die eigene Stärke beleuchten. Hier hilft folgende Tabelle:



Etwa 14% meiner Züge sind also fehlerhaft, 13% fragwürdig, aber 73% meiner Züge sind in Ordnung! Hier kann man sich selbst erreichbare Ziele setzen.
Ich empfehle keine absoluten Null-Patzer-Ziele, denn das wird nicht klappen und macht somit unglücklich.
Irren ist menschlich. Selbst Großmeister patzen!

Interessant ist der Vergleich mit ähnlichen Spielern. Offensichtlich habe ich in Sachen "Theorie" etwas Nachholbedarf.    

 

Bezüglich "Theorie" (Buchzüge) erlangte diese Kurve mein Interesse: Genauigkeit in Abhängigkeit von der Nummer des Zuges:



Man erkennt, dass ich meine Eröffnungen bevorzugt so studieren sollte, dass ich verstärkt auf den Breich des fünften bis zehnten Zuges achte, d.h. ich sollte eher in die Breite studieren als in die Tiefe, also die Nebenvarianten von Anfang an stärker beachten.

Taktik im Mittelspiel ist wohl der Kern des Spiels und die Baustelle der meisten Schachspieler. Jeder Coach startet mit Taktik und Endspieltechnik. Das Thema Eröffnungen ist derart vielfältig, dass man hier nur die allgemein geltenden Ratschläge geben kann, wobei es hier einige Ausnahmen gibt.

Ich möchte hier nur die modernen Möglichkeiten erwähnen, die es früher in dieser Form nicht gab. lichess.org und auch chess.com bieten "Opening Explorer", mit deren Hilfe man sein eigenes gespieltes Repertoire auf Erfolg/Misserfolg und Lücken/Chancen prüfen kann. Das Ganze ist ein Dreiklang aus
1) gespielte Züge
2) Masters Database
3) Engine-Züge

Ich zeige dies an meinem eigenen Beispiel. Beginnen wir mit Lichess. Gehen Sie dort auf Werkzeuge - Eröffnungsdatenbank. Neben "Masters Database" und "Lichess" (die Gesamtheit der auf Lichess gespielten Partien) findet man neuerdings "Spieler". Klicken Sie dort und geben Sie am Zahnrad ihren Lichess-Namen und die Farbe (Weiß oder Schwarz) ein.

Dort kann man Farbe, Spielvariante (Bullet, Blitz, Rapid, ...), Gewertet/Ungewertet und die gewünscte Zeitspanne auswählen. Nach Drücken von "FERTIG!" gelangt man zum eigentlichen Opening Explorer.


Ich klicke mich hier mal in den d4-Stammbaum und schaue nach meiner bevorzugten Jobava-London Eröffnung.
Im fünften Zug findet sich eine interessante Gabelung:

Was ist besser Lxd6, Lg3 oder Sf3? Am besten schneide ich laut Opening Explorer mit 5.Lg3 ab, nämlich mit 62% Siegquote. Das ist ein hoher Wert, also könnte ich dabei bleiben. Es ist dennoch interessant, faktenbasiert nach Alternativen zu schauen.
Was spielen die Meister an dieser Stelle? Die Reihenfolge bezüglich Häufigkeit: Sf3, Ld3, Lg3.
Man kann noch die Engine (zurzeit Stockfish 14) dazuschalten. Hierbei resultiert diese Zugfolge auf dem ersten Platz: 5.Df3 0-0 6.g4 c5 7.Lxd6 Dxd6 8.0-0-0 Sbd7 9.g5 Se8 10.Dg3 c4 usw. Daraus ergibt sich für mich eine völlig neue Betrachtung dieser Szene. Es gibt zwei Partien, die ich mit 5.Df3 gespielt habe, und dabei folgte jedes Mal 5....Lxf4. Die beste Antwort darauf ist 6.Dxf4, was zu einer Bewertung von +0.5 führt. Wer sich für den Mainstream, also alle Lichessspieler, interessiert, klickt noch auf Lichess Database. Dort findet man vorwiegend 5.Lg3 und 5.Sf3. Der von der Engine empfohlene Zug 5.Df3 steht auf dem fünften Platz. Dieser Zug ist nicht gerade intuitiv und daher selten, aber genau dies kann helfen, den Gegner damit zu überraschen. Ich werde ihn in mein Repertoire aufnehmen.

Zur besseren Erinnerung ("ein Bild sagt mehr als 1000 Worte") zeichne ich mir einen Schlachtplan:


Dieses schrittweite Vorgehen basierend auf eigenen Partien kann ich zum Studium von Eröffnungen bestens empfehlen. Man sollte hierbei jedoch auch in Beispielpartien (Masters Database) schauen und prüfen, ob die Bewertung der Engine nach Ausführen der Zugideen immer noch positiv ist. Im konkreten Fall darf man etwa +0.5 erwarten, während die bisherigen Alternativen sich eher um 0.0 einpendeln. Das könnte somit eine mögliche Verbesserung meiner Spielweise ergeben. Genau darum geht es. Klare konkrete Ideen, die zu besserem Schach führen. Man sollte nach einiger Zeit prüfen, ob man die gefundene Idee wirklich umsetzt und welche Ergebnisse man damit erzielt. Die Opening Explorer nehmen Ihnen diese Aufgabe ab, ein wirklicher Vorteil digital gespeicherter Partien.

 Wie verbessere ich mein Endspiel?

Die bisherigen Themen und Beispiele betreffen verstärkt Taktik, Königsangriff, Mattsetzen und Eröffnung. Die letzte Phase des Spiels, das sogenannte Endspiel ist bei vielen weniger beliebt, gilt teilweise als eher langwierig und zuweilen langweilig. "Ich gewinne im Mittelspiel, ich brauche kein Endspiel." ist die überhebliche Ansage, die von Bobby Fischer stammen könnte. Dabei beherrschte er das Endspiel bestens. Andere wiederum sagen "Ich bin nicht gut genug im Mittelspiel. Meine Endspiele sind dann sowieso verloren, also was nutzt mir diese Endspielkunst?"

Ich denke, es ist wichtig, dass man daher seine Mittelspiel- und Endspielfähigkeiten auf etwa gleichem Niveau halten sollte. Bei mir hängt die Mittelspiel-Taktik etwas nach, wie ich aus der chess.com Kurve "Accuracy by move number" weiß. Daher sollte ich persönlich mehr Zeit auf das Mittelspiel verwenden als auf das Finale. Das kann bei Ihnen völlig anders sein. 

Es gibt sehr viele unterschiedliche Bereiche im Endspiel. Ich nenne hier nur Mattsetzen mit Springer und Läufer, Dame gegen Turm, Turm und Läufer gegen Turm, Turmendspiele, Bauernendspiele, die Dame im Endspiel. Wie soll man das alles beherrschen?

Das Schlimme daran: Neben reiner "Endspieltechnik", deren Erlernung und Übung viel Fleiss erfordert, trifft man in der Endphase häufig auch auf raffinierte taktische Momente, die man leicht übersieht, weil man sie dort nicht vermutet.

Eine hohe Komplexität erfordert zumindest einige Grundregeln. Hierzu möchte ich zusammenfassend auf "Die GOLDENEN Endspielregeln" von The Big Greek (bekannter Schach-Streamer auf youtube und twitch) verweisen. Es sind genau fünf Regeln:

1) Aktiviere deinen König! Nachdem starke Figuren das Brett verlassen haben, kann und muss er am Geschehen teilnehmen.
2) Zugzwang als scharfe Waffe nutzen! 
3) Geduldig spielen! Dies gilt für Stellungen, die kein Bauern-Wettrennen sind.
4) Als Verteidiger - Bauern tauschen!
5) Turmendspiele (und auch andere) aktiv verteidigen! Nicht an Bauern klammern.

Im Video werden diese Regeln anhand bekannter Partiebeispiele diskutiert.

Neben zahlreicher Schach-Videos, die man heute kostenlos z.B. bei Youtube findet, empfehle ich zum Erlernen der Technik die Plattform chessable.com, mit der man korrekte Abläufe im Schach unterstützt durch moderne Didaktik "pauken" kann. Hier empfehle ich folgende kostenlose Endspiel-Kurse zum Einstieg:

Chess Fundamentals by J.R. Capablanca
Basic Endgames
Winning Chess Endings

Die Gefahr bei chessable.com besteht darin, dass man sich in seiner Sammel- und Lernwut überfordert. Wenn das passiert, den Kurs einfach für bessere Zeiten archivieren.

Bei Lichess kann man interaktiv sehr schön Bauernendspiele üben.

Achten Sie bei allen Aufgaben darauf, was rein technisch abläuft (z.B. Schlüsselfelder bei Bauernendspielen oder Brücke bauen bei Lucena Turmendspiel) und was taktische Fähigkeiten (z.B. Pattfallen) erfordert. Dies erfordert unterschiedliche Fähigkeiten. Bei Bauernendspielen sind häufig weitreichende vergleichende Kalkulationen notwendig.    

Zur Verbesserung des Kalkulierens hilft vielleicht folgender klassischer Lehrgang als Einstieg.

Die moderne Fortsetzung dazu sind themenbezogene Puzzle bei lichess.org oder chess.com.
z.B. Bauernendspiele und Turmendspiele bei lichess
z.B. Bauernendspiele und Turmendspiele bei chess.com

Hier geht es zum Teil 2.