Dr. Erhard Henkes
https://www.twitch.tv/prettyhardy
13.02.2022
Das Studium verschiedenster Mattmuster hilft auf jeden Fall weiter. Üben Sie auf lichess.org, chess.com, chessable.com oder wo und wie auch immer Matt in x Zügen und zwar x = 1 bis 4+ oder 5+, denn das hilft gewaltig. Später nimmt man dann verschiedene Themen in Kombination, damit man nicht weiß, ob es sich wirklich um eine Mattaufgabe handelt. Im richtigen Spiel ist es nämlich so: Forcierte Mattmöglichkeiten sind selten, und es wird auch keine Alarmglocke geläutet.
Es lohnt sich, die grundsätzlichen Mattbilder
regelmäßig durchzugehen,
z.B. hier:
https://www.chess.com/de/terms/mattbilder
1....Lxh2+ 2.Kh1 Lxg2+ 3.Kxg2 Txf2+ 4.Txf2 Dg3+ 5.Kf1 Dg1# oder 4.Kxf2 Dg3#
Der
entscheidende Punkt ist hier der fixierte Bauer f7. Dieser blockiert den König
und sperrt ihn im Bereich der g- und h-Linie ein. Zusätzlich gibt es die
Möglichkeit für das Schachgebot 1.Dg6+ Kh8
Wie geht es nun weiter? Führt
ihre Analyse bis zum Matt?
Wenn ja, haben Sie erstaunliche Kalkulationsfähigkeiten. Es ist in der Tat ein Matt in 11 Zügen.
1.Dg6+ Kh8 2.Dxh6+ Kg8 3.Dxg5+ Kh8 4.Le4 Dh3 5.Lxf6+ Lxf6 6.Dxf6+ Kg8 7.Td5 Dg4 8.Tg5+ Dxg5 9.Dxg5+ Kh8 10.Dh6+ Kg8 11.Dh7#
Hier geht es darum die wesentlichen Elemente zu erkennen:
1.Dg6+ (der
totbringende Bauer f7 ist gefesselt, sodass die Dame eindringen und g- und
h-Linie öffnen kann)
4.Le4 (ein ruhiger Zug, der den Läufer auf die
klassische Angriffsdiagonale b1-h7 bringt)
5.Lxf6 (der Abtausch öffnet das
Operationsfeld für Dame, Turm und Läufer)
7.Td5 (der Turm wird für die
g-Linie mit Angriff auf g8 benötigt und dann gegen die feindliche Dame
getauscht)
11.Dh7# (das Mattbild)
Vielleicht hilft ihnen bei der
Vorstellung ein grafisches Bild mit Pfeilen:
Sie
sehen, die Dame ist hier der Hauptakteur bei diesem Königsangriff. Daher ist es
wichtig, dass man sich mit dieser Figur im Schach besonders intensiv
beschäftigt. Das korrekte Führen der Dame ist ein wesentlicher Schlüssel zum
Erfolg.
Besonders leidvoll musste ich diesen Umstand in einer langsamen Partie
im Kampf um die Vereinsmeisterschaft in Lorsch 2019 erkennen:
Ich
stehe hier mit Schwarz auf Gewinn. Das hatte ich auch im Gefühl. Nun muss man die Partie "nur" noch gewinnen.
Welchen konkreten Plan würden Sie hier fassen? Wie gehen Sie hierbei intuitiv
und kalkulatorisch genau vor?
Ich entschied mich für
1....Dd2+ 2.Kf1 Se3+ 3.Kg1 Sd1 (besser ist Dc1+) 4.Dc5 De1+ 5.Lf1, und Weiß nahm
mein Remisangebot an. Nach einer wilden und anstrengenden Partie und aufgrund
meiner unsicheren Königsstellung war ich zunächst mit dem Ergebnis zufrieden.
Später bei der Analyse fand ich folgende deutlich bessere Abwicklung:
1....Dd3! 2.Kf1
(2.Df1 De3 ...) Sd2+ 3.Ke1 Sf3+ 4.Kf1 Sh2+! 5.Dxh2 Db1+ 6.Kf2 Txe2+ 7.Kxe2 Dxb2+
8.Kf3 Dxh2, und Schwarz hat Dame gegen Turm mit guten Gewinnaussichten.
Das Springeropfer auf h2 zur Ablenkung der Dame ins Abseits mit nachfolgendem
Qualitätsopfer sah ich nicht. Ich war mit der Komplexität der Stellung
in der konkreten Situation am Brett überfordert und erkannte nur, dass ich nach ...Dd2 die Partie ausgleichen konnte.
Nutzen Sie solche Stellungen, die verschiedene Damenzüge ermöglichen, um
ihre Kalkulationsfähigkeiten sowohl in die Breite als auch in die Tiefe zu stärken. Verwenden Sie meine konkrete Stellung
(Stockfish wertet sie mit -7.8) und gehen Sie die möglichen Nebenvarianten
durch. Als Anfangszüge ("Kandidaten") eignen sich ...Dd2+, ...Dd3, ...Db4+ und auch ...Se3.
Eine sinnvolle Analyse der gespielten Partien bringt sowohl Einsichten hinsichtlich der intuitiven als auch der kalkulatorischen Fähigkeiten. Daher rate ich zur Analyse aller gespeicherten Partien, egal ob Bullet, Blitz, Rapid oder Turnier. Manchmal braucht man etwas Abstand zur emotionalen Komponente der Partie. Nach längerer Zeit bleibt das Schachliche im Vordergrund, und davon kann man profitieren, wenn man regelmäßig an seinen Schwächen und Stärken arbeitet.
Heute stehen uns aussagekräftige digitale Helfer zur Verfügung. Sowohl lichess.org als auch chess.com und auch andere Plattformen bieten automatische Analysen der gesamten Partie an, sodass man sich auf die Schlüsselzüge konzentrieren kann. Man ist zunächst damit alleine gelassen, wie man den Fehler/Patzer oder die Ungenauigkeit zukünftig vermeiden soll. Daher sollte man sich selbst Regeln generieren, die wesentliche Schwächen umgehen sollen.
Ich möchte das an einem konkreten Beispiel erläutern. Ich habe eine Zeitlang "Puzzle Storm" zuerst mit 5 Minuten und später ohne Zeitlimit geübt, um meine taktischen Fähigkeiten zu erhöhen. Dabei endet der Lauf, wenn man drei Puzzle falsch gelöst hat. Diese drei "Versager" habe ich in einer Studie gesammelt. Aus 63 falsch gelösten Puzzle erzeugte ich für mich selbst Regeln (das passt gut in lichess, da man aktuell max. 64 Kapitel in einer Studie sammeln kann).
Folgende Regeln ergaben sich für das taktisch orientierte Mittelspiel:
1) look at all 64 squares! (queen, rook, bishop: far distance effect)
2) look for all(!) checks first, then capturing s.th., then threats.
3) look for unprotected pieces!
4) look for unblocking squares, files, ranks.
5) look at your opponent's threats and pieces!
6) look for better tactics, if you have found one.
7) look for deflecting protecting pieces.
Die Punkte 1,2 und 5 halte ich für besonders wichtig:
Das
ganze Brett im
Blick behalten.
Alle Schachgebote prüfen.
Die
Drohungen und Figuren des
Gegners beachten.
Verwenden Sie diesen Ansatz für ihre eigene
Vorgehensweise. Regeln sollte man sich natürlich immer wieder ins Gedächtnis
rufen, wenn man diese in die Realität umsetzen möchte.
Die Digitalisierung erlaubt das Speichern der eigenen Partien. Man hat somit die Möglichkeit, seine Gesamtleistung statistisch in vielen Richtungen zu untersuchen, um Verbesserungspotenziale zu finden. Wie geht das genau?
Beginnen wir mit den Insights bei lichess.org. Man findet es im Profil. Dabei
kann man A gegen B mit Filter C auftragen. Sehen wir uns einige Beispiele an:
A:
Average Centipawn Loss
B: Piece Moved
C: Schnellschach
Diese Zahlen sind durchschnittliche negative Abweichungen in 1/100 Bauerneinheiten gegenüber der Engine. Was lerne ich daraus? Mit Läufer und Bauern habe ich die geringste Bewertungsabweichung gegen den besten Stockfish-Zug. Mit Turm und Dame begehe ich mehr Fehler als mit anderen Figuren. Dort sollte also meine Verbesserung ansetzen. Aus Erfahrung weiß ich inzwischen, dass Werte unter 40 (das sind 0.4 Wertungspunkte, Bauer = 1, gegenüber dem besten Engine-Zug) aus Sicht eines gehobenen Vereinsspielers erstrebenswert sind.
Ein weiteres Beispiel:
A: Average Centipawn Loss
B: Game Phase
C:
Schnellschach
Die Botschaft ist klar:
Eröffnungsphase ist im Durchschnitt akzeptabel.
Taktik und Endspieltechnik sind ausbaufähig.
Hat man die Diamant-Mitgliedschaft bei chess.com, so bieten sich interessante
Möglichkeiten. Es nennt sich ebenfalls "Insights".
Fangen wir mit den Figuren
an:
Man sieht, Turm und Dame verlangen mehr Aufmerksamkeit bei mir. Daher habe ich
oben das Beispiel meines fehlerhaften Damenzugs gezeigt. Chess.com benutzt
übrigens die sogenannte "Accuracy", die bis 100% gehen kann. Werte über 85% sind
mein Ziel.
Man sollte nicht nur in Fehlern/Patzern denken, sondern auch
die eigene Stärke beleuchten. Hier hilft folgende Tabelle:
Etwa 14% meiner Züge sind also fehlerhaft, 13% fragwürdig, aber 73% meiner Züge
sind in Ordnung! Hier kann man sich selbst erreichbare Ziele setzen.
Ich empfehle keine
absoluten Null-Patzer-Ziele, denn das wird nicht klappen und macht somit
unglücklich.
Irren ist menschlich. Selbst
Großmeister patzen!
Interessant ist der Vergleich mit ähnlichen Spielern.
Offensichtlich habe ich in Sachen "Theorie" etwas Nachholbedarf.
Bezüglich "Theorie" (Buchzüge) erlangte diese Kurve mein Interesse: Genauigkeit in Abhängigkeit
von der Nummer des Zuges:
Man
erkennt, dass ich meine Eröffnungen bevorzugt so studieren sollte, dass ich verstärkt auf
den Breich des fünften bis zehnten Zuges achte, d.h. ich sollte eher in die Breite
studieren als in die Tiefe, also die Nebenvarianten von Anfang an stärker
beachten.
Taktik im Mittelspiel ist wohl
der Kern des Spiels und die Baustelle der meisten Schachspieler.
Jeder Coach startet mit Taktik und Endspieltechnik. Das Thema Eröffnungen ist
derart vielfältig, dass man hier nur die allgemein geltenden Ratschläge geben
kann, wobei es hier einige Ausnahmen gibt.
Ich möchte hier nur die
modernen Möglichkeiten erwähnen, die es früher in dieser Form nicht gab.
lichess.org und auch chess.com bieten "Opening Explorer", mit deren Hilfe man
sein eigenes gespieltes Repertoire auf Erfolg/Misserfolg und Lücken/Chancen
prüfen kann. Das Ganze ist ein Dreiklang aus
1) gespielte Züge
2) Masters
Database
3) Engine-Züge
Ich zeige dies an meinem eigenen Beispiel. Beginnen wir mit Lichess. Gehen Sie dort auf Werkzeuge - Eröffnungsdatenbank. Neben "Masters Database" und "Lichess" (die Gesamtheit der auf Lichess gespielten Partien) findet man neuerdings "Spieler". Klicken Sie dort und geben Sie am Zahnrad ihren Lichess-Namen und die Farbe (Weiß oder Schwarz) ein.
Dort kann man Farbe, Spielvariante (Bullet, Blitz, Rapid, ...), Gewertet/Ungewertet und die gewünscte Zeitspanne auswählen. Nach Drücken von "FERTIG!" gelangt man zum eigentlichen Opening Explorer.
Ich klicke mich hier mal in den d4-Stammbaum und schaue nach meiner bevorzugten
Jobava-London Eröffnung.
Im fünften Zug findet sich eine interessante Gabelung:
Was ist besser Lxd6, Lg3 oder Sf3? Am besten schneide ich laut Opening
Explorer mit 5.Lg3 ab,
nämlich mit 62% Siegquote. Das ist ein hoher Wert, also könnte ich dabei bleiben.
Es ist dennoch interessant, faktenbasiert nach Alternativen zu schauen.
Was spielen die Meister an dieser Stelle?
Die Reihenfolge bezüglich Häufigkeit: Sf3, Ld3, Lg3.
Man kann noch die Engine
(zurzeit Stockfish 14) dazuschalten. Hierbei resultiert diese Zugfolge auf dem
ersten Platz: 5.Df3 0-0 6.g4 c5 7.Lxd6 Dxd6 8.0-0-0 Sbd7 9.g5 Se8 10.Dg3 c4 usw.
Daraus ergibt sich für mich eine völlig neue Betrachtung dieser Szene. Es gibt
zwei Partien, die ich mit 5.Df3 gespielt habe, und dabei folgte jedes Mal
5....Lxf4. Die beste Antwort darauf ist 6.Dxf4, was zu einer Bewertung von +0.5
führt. Wer sich für den Mainstream, also alle Lichessspieler, interessiert,
klickt noch auf Lichess Database. Dort findet man vorwiegend 5.Lg3 und 5.Sf3.
Der von der Engine empfohlene Zug 5.Df3 steht auf dem fünften Platz. Dieser Zug
ist nicht gerade intuitiv und daher selten, aber genau dies kann helfen, den
Gegner damit zu überraschen. Ich werde ihn
in mein Repertoire aufnehmen.
Zur besseren Erinnerung ("ein Bild sagt
mehr als 1000 Worte") zeichne ich mir einen Schlachtplan:
Dieses schrittweite Vorgehen basierend auf eigenen Partien kann ich zum Studium von Eröffnungen bestens empfehlen.
Man sollte hierbei jedoch auch in Beispielpartien (Masters Database) schauen und prüfen, ob die
Bewertung der Engine nach Ausführen der Zugideen immer noch positiv ist. Im
konkreten Fall
darf man etwa +0.5 erwarten, während die bisherigen Alternativen sich eher um
0.0 einpendeln. Das könnte somit eine mögliche Verbesserung meiner Spielweise
ergeben. Genau darum geht es. Klare
konkrete Ideen, die zu besserem Schach führen. Man sollte nach einiger Zeit
prüfen, ob man die gefundene Idee wirklich umsetzt und welche Ergebnisse man
damit erzielt. Die Opening Explorer nehmen Ihnen diese Aufgabe ab, ein
wirklicher Vorteil digital gespeicherter Partien.
Die bisherigen Themen und Beispiele betreffen verstärkt Taktik, Königsangriff, Mattsetzen und Eröffnung. Die letzte Phase des Spiels, das sogenannte Endspiel ist bei vielen weniger beliebt, gilt teilweise als eher langwierig und zuweilen langweilig. "Ich gewinne im Mittelspiel, ich brauche kein Endspiel." ist die überhebliche Ansage, die von Bobby Fischer stammen könnte. Dabei beherrschte er das Endspiel bestens. Andere wiederum sagen "Ich bin nicht gut genug im Mittelspiel. Meine Endspiele sind dann sowieso verloren, also was nutzt mir diese Endspielkunst?"
Ich denke, es ist wichtig, dass man daher seine Mittelspiel- und Endspielfähigkeiten auf etwa gleichem Niveau halten sollte. Bei mir hängt die Mittelspiel-Taktik etwas nach, wie ich aus der chess.com Kurve "Accuracy by move number" weiß. Daher sollte ich persönlich mehr Zeit auf das Mittelspiel verwenden als auf das Finale. Das kann bei Ihnen völlig anders sein.
Es gibt sehr viele unterschiedliche Bereiche im Endspiel. Ich nenne hier nur Mattsetzen mit Springer und Läufer, Dame gegen Turm, Turm und Läufer gegen Turm, Turmendspiele, Bauernendspiele, die Dame im Endspiel. Wie soll man das alles beherrschen?
Das Schlimme daran: Neben reiner "Endspieltechnik", deren Erlernung und Übung viel Fleiss erfordert, trifft man in der Endphase häufig auch auf raffinierte taktische Momente, die man leicht übersieht, weil man sie dort nicht vermutet.
Eine hohe Komplexität erfordert zumindest einige Grundregeln. Hierzu möchte ich zusammenfassend auf "Die GOLDENEN Endspielregeln" von The Big Greek (bekannter Schach-Streamer auf youtube und twitch) verweisen. Es sind genau fünf Regeln:
1) Aktiviere deinen König! Nachdem starke Figuren das Brett verlassen haben,
kann und muss er am Geschehen teilnehmen.
2) Zugzwang als scharfe Waffe
nutzen!
3) Geduldig spielen! Dies gilt für Stellungen, die kein
Bauern-Wettrennen sind.
4) Als Verteidiger - Bauern tauschen!
5)
Turmendspiele (und auch andere) aktiv verteidigen! Nicht an Bauern klammern.
Im Video werden diese Regeln anhand bekannter Partiebeispiele diskutiert.
Neben zahlreicher Schach-Videos, die man heute kostenlos z.B. bei Youtube findet, empfehle ich zum Erlernen der Technik die Plattform chessable.com, mit der man korrekte Abläufe im Schach unterstützt durch moderne Didaktik "pauken" kann. Hier empfehle ich folgende kostenlose Endspiel-Kurse zum Einstieg:
Chess Fundamentals by J.R.
Capablanca
Basic
Endgames
Winning Chess
Endings
Die Gefahr bei chessable.com besteht darin, dass man sich in seiner Sammel- und Lernwut überfordert. Wenn das passiert, den Kurs einfach für bessere Zeiten archivieren.
Bei Lichess kann man interaktiv sehr schön Bauernendspiele üben.
Achten Sie bei allen Aufgaben darauf, was rein technisch abläuft (z.B. Schlüsselfelder bei Bauernendspielen oder Brücke bauen bei Lucena Turmendspiel) und was taktische Fähigkeiten (z.B. Pattfallen) erfordert. Dies erfordert unterschiedliche Fähigkeiten. Bei Bauernendspielen sind häufig weitreichende vergleichende Kalkulationen notwendig.
Zur Verbesserung des Kalkulierens hilft vielleicht folgender klassischer Lehrgang als Einstieg.
Die moderne Fortsetzung dazu sind themenbezogene Puzzle bei lichess.org oder
chess.com.
z.B.
Bauernendspiele und
Turmendspiele bei lichess
z.B.
Bauernendspiele und
Turmendspiele bei chess.com
Hier geht es zum Teil 2.